Es war einmal ein junger Mann, der ein Buch las und davon inspiriert wurde einen Fahrradkurierdienst zu gründen. Dieser Kurierdienst lief gut und wuchs. Die Fahrradkuriere konnte man als idealistische Freaks bezeichnen. Die Firma war klein und familiär. Es gab eine Werkstatt, wo man an seinem Fahrrad schrauben konnte, im Notfall sogar professionelle Hilfe durch Fahrradmechaniker, es gab Kaffee, Milch, Haferflocken, Sprudel und Brausetabletten, einen Aufenthaltsraum mit Sofa und Fernseher und eine Küche mit Nudeln und Tomatensoße. Irgendwann fiel den idealistischen Freaks dann ein, dass es doch ganz nett wäre, den Kunden eine neue Dienstleistung anzubieten, nämlich die Versendung von Briefen innerhalb des Stadtgebietes über den Fahrradkurier. Die Leistung sollte billiger als bei der Post sein und die Zustellung taggleich. Und so kam es. Da ich nach dem ersten Semester auf der Suche nach einem Job für die Ferien war, und einer meiner Freunde als Kurier fuhr, wurde ich als Zustellerin eingestellt. Alles unkompliziert, kein Vertrag, Arbeitszeiten nach Absprache. Zu diesem Zeitpunkt wurden über die Firma jeden Tag etwa 2500 Briefe verschickt. Die Touren waren lang, die Briefdichte gering und die Arbeit machte Spaß. Als etwa ein Jahr später die Anzahl der zu versendenden Briefe angestiegen war, war eine taggleiche Verarbeitung und Zustellung der Briefe nicht mehr möglich und es wurde auf die sogenannte Overnight-Zustellung umgestellt. Für mich als Studentin war das erstmal schlecht, da die Briefe nun vormittags während meiner Vorlesungen zugestellt werden sollten. Also wurde ich nun auch eingesetzt um nachmittags Briefe bei Kunden abzuholen und Briefe zu sortieren. Man kann kaum glauben, wie schnell man das Gehirn nicht mehr braucht um Briefe nach Postleitzahlen zu sortieren. Also konnte man das Gehirn benutzen um sich mit den Mitsortierenden zu unterhalten. Es war Sommer und es war die beste Zeit. Man saß abends noch zusammen auf der Treppe, trank mal ein Bier, lernte Menschen kennen, die man sonst nie kennengelernt hätte. Wir waren eine Familie geworden. Aber die Firma wuchs und es wurden viele neue eingestellt. Es musste die schmerzliche Erfahrung gemacht werden, dass man nicht jedem vertrauen kann. Arbeit wurde strenger kontrolliert, Mitarbeiter misstrauisch beobachtet. Irgendwann rechnete jemand für viel Geld aus, dass Nudeln und Soße zu teuer seien und so wurde das abgeschafft. Irgendwann wurde die Werkstatt abgeschlossen, weil zu viel geklaut wurde. Die kleine Firma war langsam zu einer großen geworden. Je anonymer alles wurde umso größer wurde der Unmut über schlechte Bezahlung und erste Familienmitglieder blieben auf der Strecke. Doch die Firma wuchs weiter. Kooperationen mit anderen Briefdienstleistern wurden eingegangen. Die Belegschaft wechselte und änderte sich. Man arbeitete nun für Geld und nicht mehr für die Firma. Nach einigen Jahren war die Firma groß geworden und somit auch Geld wert. Der junge Mann, der einst das Buch gelesen hatte, nahm schließlich ein Übernahmeangebot eines Kooperationspartners an, der kurz darauf vom nächstgrößeren geschluckt wurde. Es wurde umstrukturiert, Kaffee, Milch und Haferflocken abgeschafft und langjährigen Mitarbeitern wurde gekündigt. Die Stimmung war schlecht geworden und viele waren froh, rechtzeitig den Absprung geschafft zu haben.
Das Ende der Geschichte: Der junge Mann mit dem Buch und der Vision ist nicht länger Geschäftsführer seines Lebenstraums. Er wurde wegrationalisiert.

Sowas passiert, wenn die Kleinen groß werden.
Es lebe das Geld und der Kapitalismus!