Im Ort gastiert zur Zeit ein kleiner Zirkus. Da wir den letzten Zirkus verpasst hatten, überlegten wir, ob einer von uns mit dem Herr Gartenhein hingehen sollte. Der redet zur Zeit öfter vom Zirkus, weil er das vom Schlupp vom grünen Stern kennt. Und als ich mich versuchte im Internet über den Zirkus zu informieren (es ist bei den großen Zirkusfamilien beinahe unmöglich), stieß ich auf eine Eintrittskartenverlosung der Böblinger Kreiszeitung. Ich hab mich eingetragen und gewonnen. Und so machten der Herr Gartenhein und ich uns gestern abend auf zur Vorstellung des Zirkus Gebrüder Renz.

Nach einer kurzen „Ich will da nicht rein!“-Attacke auf Seiten des Herrn Gartenhein, standen wir dann auf wackeligen Brettern am Kartenhäuschen. Tatsächlich war unser Name hinterlegt und wir kriegten unsere Eintrittskarten umsonst. Die Angst des Herrn Gartenhein, es sei laut und voll, erwiesen sich als unbegründet. Wir nahmen auf weißen Plastikstühlen Platz und warteten, dass es losgeht. Mein letzter Zirkusbesuch dürfte in den späten Achzigern oder frühen Neunzigern stattgefunden haben. Damals kam mir das alles noch etwas glamouröser vor, aber vermutlich ist es die kindliche Perspektive, die mir nun fehlt. Damals gab es ja auch in kleineren Zirkussen noch Raubkatzen oder Elefanten, weswegen der Zirkus in Verruf geraten ist. Heute gibt es nur noch Pferde, Kamele und Lamas, die sich auch auf Reisen möglichst artgerecht halten lassen.

Das Programm ging los. Es gab Akrobatik, Pferde- und Kameldressur, Clowns, Seiltanzen, Feuerspucken, Lasso- und Messerwerfen. Anfangs stand ich dem allen eher belustigt gegenüber. Das änderte sich aber bald. Ich war ziemlich beeindruckt von der Leistung der Artisten. Als Kind ist mir nie bewusst geworden, dass eine Zirkusvorstellung von nur so wenig Menschen gestemmt wird. Hier waren es sechs. Jeder Handgriff saß, beim Auf- und Abbau wusste jeder genau, wann er wo anfassen und wann welche Tür geöffnet werden musste. Klar kommt das durch die Routine, aber es steckt auch der Wille dahinter, auch für eine nur halbvolle Donnerstagabendvorstellung das Beste zu liefern. Nicht jedes Kunststück klappte immer sofort, aber dann wurde es einfach wiederholt. Besonders lustig war das kleine Shetlandpony, das immer wieder versuchte das große schwarze Pferd zu treten. Die Zirkusartisten waren mit einer unvorstellbaren Begeisterung bei der Sache und der Funke sprang aufs Publikum über. Wen stört es da noch, dass die auf dem Kinn balancierten Stühle mal nen neuen Anstrich bräuchten. Die jüngste Artistin sammelte Geld für ihre Ausbildung an der Artistenschule. Die nächste Generation wächst also auch schon heran.

Beeindruckend war auch, dass jeder Artist verschiedene Kunststücke beherrschte, wo man doch schon Jahre trainieren muss, um eine Sache gut zu können. Natürlich war das keine Spitzenakrobatik (das ist auch nicht der Cirque du Soleil), aber trotzdem nichts, was irgendjemand aus dem Stehgreif nachmachen könnte. Mich hat die Zirkusvorstellung, entgegen meiner anfänglichen Skepsis, doch überzeugt. Den Herr Gartenhein sowieso. Er fand die Tierdressuren besonders toll. Bei den Kamelen habe ich mich etwas gegruselt. Die sind ECHT groß und wenn die in einem Meter Entfernung im vollen Galopp vorbei laufen, ist das einfach zum Gruseln. Auch das Feuerspucken fand er gut und das Lassoschwingen. Vom Seiltanzen sollte ich sogar ein Foto machen. Ihm hat es sehr gut gefallen, obwohl er anfangs mal nachgefragt hat, wann denn der Film losginge…

Ich habe mich gefragt wie es ist in diesem Umfeld aufzuwachsen. Es sind ja immer ganze Familien, die einen Zirkus betreiben. Was bringt die Kinder dazu auch wieder Artist zu werden, statt beispielsweise Bankkaufmann? Als ich so durch das Zirkuszelt blickte, konnte ich mir kaum vorstellen, dass das alles kostendeckend ist. Letzten Winter stand ein Zirkusartist (vermutlich von eben diesem Zirkus) bei uns vor der Tür und sammelte Geld für Tierfutter. D. war erst skeptisch, hat sich einen Ausweis zeigen lassen und ist für eine kurze Googlerecherche ins Haus verschwunden. War wohl alles seriös und der Artist bot auch an, er könne zum Beweis seiner Echtheit mit Stühlen jonglieren. Wir haben ihm etwas gegeben. Was bringt einen dazu, beim Auftritt eine solche Begeisterung auszustrahlen, obwohl man ahnt, dass man im Winter wieder nicht weiß, was man seinen Tieren zu fressen geben soll? Ich zumindest fand das Engagement voll unterstützenswert und habe deshalb (wenn schon der Eintritt umsonst war) Tierschau, Popcorn und Cars-Luftballon mitgenommen und noch dem Artistenmädchen Geld für die Ausbildung in den Hut geworfen. Man sollte viel öfter in den Zirkus gehen!

Und so sah das ungefähr aus