Neulich las ich im Spiegel Nr 3 diesen Jahres einen Artikel über das 8-jährige Gymnasium. Der Titel lautete „Diebstahl der Kindheit“. Gestern hat D. den gleichen Artikel gelesen und sagte dann genau das, was ich beim Lesen auch gedachte hatte: Wenn ein Kind Ess-, Schlafstörungen und Bauchschmerzen hat, wegen der Schule, dann ist es vielleicht einfach auf der falschen Schule. Aber von vorne. In dem Artikel geht es darum, dass die Schüler durch das 8-jährige Gymnasium überfordert werden, da der gleiche Stoff in weniger Zeit gepackt werden muss. Die Schüler stehen dadurch unter zusätzlichem Druck, leiden unter Stress und haben keine Freizeit mehr. Aber liegt das nicht einfach daran, dass nicht alle Schüler die Fähigkeiten haben ein Gymnasium zu besuchen? Fast 40 % der Schüler in Baden-Württemberg gehen inzwischen nach der Grundschule auf ein Gymnasium. 1990/91 waren es gerade mal 32 %. Sind denn die Schüler so viel schlauer geworden? Ich denke nicht. Die meisten Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder Abitur machen und so werden viele schon in der Grundschule gedrillt. Was sich da mit Fleiß noch erreichen lässt, hilft dann auf dem Gymnasium nicht mehr unbedingt weiter. Ich glaube nicht, dass ich wirklich Probleme damit gehabt hätte, das Abitur in einem Jahr weniger zu machen, wenn ich mir überlege, wieviel Zeit ich mit dem Rücken zur Tafel zugebracht habe oder damit, irgendwelche Statistiken über die Klamottenwechsel meiner Vorsitzer zu entwerfen. Auch kann ich mich erinnern, dass ich irgendwann in der achten Klasse das erste Mal versuchte auf eine Klassenarbeit zu lernen. Ich wusste weder was noch wie ich lernen sollte, dachte nur es sei nötig, weil alle es machen. Tatsächlich ist es aber möglich die ersten 10 Schuljahre zu bestehen ohne auf eine Arbeit gelernt zu haben. Ich habe auch später in kaum eine Klausur (außer dem Abitur) mehr als einen Abend Lernzeit investiert. Und trotzdem hatte ich nie Probleme, war nie auch nur ansatzweise versetzungsgefährdet. In dem Artikel heißt es auch, es sei für eine berufstätige Mutter nicht möglich ein Kind aufs Gymnasium zu schicken. Hä? Meine Eltern hatten mit meinen Hausaufgaben nie irgendetwas zu tun. Deshalb habe ich wohl auch früh gelernt zu entscheiden, wieviel Zeit tatsächlich nötig ist und welche Aufgaben man noch schnell in der Pause erledigen kann. Und erstaunlicherweise haben meine Eltern, obwohl sie sich nicht um unsere Hausaufgaben gekümmert haben, vier Kinder zum Abitur bekommen und das ohne Ehrenrunde. Also sind die Schüler, die sich überfordert fühlen vielleicht wirklich überfordert und wären auf der Realschule besser aufgehoben. Was ihnen dann die Kindheit stiehlt ist nicht das böse System, sondern ihre eigenen Eltern, die unbedingt wollen, dass ihre Kinder Abitur machen. Und damit nehmen sie einem die Chance, dass zu lernen, was am wichtigsten ist, nämlich, dass man für sich selbst lernt, nicht für die Eltern, die Lehrer oder die Noten. Wer das kapiert hat, hat nämlich auch kein Problem mehr mit der Schule.