Beratung oder Verkaufsgespräch?
von alasKAgirlOkt 13
Gestern sagt mein Arzt zu mir „… und dann möchte ich gerne noch mit Ihnen über Nabelschnurblut reden.“ Ich so: „Okeeeee…“ Da ist es also wieder, dieses Thema.
Er also weiter: „Was wissen Sie denn über Nabelschnurblut?“
Ich: “ Man kann das spenden oder privat einlagern lassen.“
Er: „Über die Spende müssten Sie sich selbst informieren in der Klinik, wo Sie entbinden möchten.“
Ich: „Mmh…“
Er: „Sie kennen ja bestimmt die blabla-Blutbank, die für das Einlagern über 2000 Euro will. Hier gibt es jetzt eine neue, die gab es vor zwei Jahren wahrscheinlich noch nicht. Viel tollerer und besserer und da kostet das nur 290 Euro.“
Ich: „Klingt fair.“ während mein Blick auf die Broschüre fällt, die in einem Ständer auf seinem Schreibtisch steht. „Nur 6 Euro im Monat“ sagt die.
Er: „Und dann halt noch 6 Euro pro Monat.“ (Womit wir bei 30jähriger Einlagerung trotz sich ändernder Gebühren wieder bei knapp 2000 Euro sind.)
Er erzählt noch, dass man in den nächsten 100 Jahren bestimmt drauf kommt, wie man Nieren und Haut wachsen lassen kann und dass auch mit 25%iger Wahrscheinlichkeit unser erstes Kind vom Nabelschnurblut des Zweiten profitieren kann. Er erzählt weiter, wie schade es wäre, dass nur so wenige Leute Nabelschnurblut einlagern, weil je mehr eingelagert würde, umso mehr Fälle, wo es was nutzt, gäbe es.
Stellen wir uns nun vor, wir sind im Jahr 2042 und mein Sohn braucht eine neue Niere.
Szenario 1: Wir haben seinerzeit Nabelschnurblut bei einer privaten Blutbank einlagern lassen. Leider sind die Forschungen noch immer nicht so weit, dass man eine Niere aus den Stammzellen herstellen kann. Auch deshalb, weil zwar viel Blut eingelagert wird, aber kaum welches für Forschung zur Verfügung steht.
Szenario 2: Wir haben seinerzeit Nabelschnurblut bei einer privaten Blutbank einlagern lassen. Man kann daraus inzwischen neue Organe wachsen lassen, aber leider waren die Bedingungen für die Einlagerung vor 40 Jahren noch so wenig ausgereift, dass 99 % der damals eingelagerten Proben unbrauchbar sind.
Szenario 3: Wir haben seinerzeit Nabelschnurblut gespendet (z.B. über die DKMS). Das Blut wurde vor 15 Jahren bereits für einen anderen Empfänger verwendet und wir müssen nach ebenfalls geeigneten fremden Stammzellen suchen. Dank der flächendeckenden Entnahme und Einlagerung von Nabelschnurblut, können die passenden Stammzellen gefunden werden und eine Niere wird hergestellt.
Ich kann mir noch unzählige andere Szenarien ausdenken. Treffend zusammen gefasst hat es D.: „Ich kann also entweder kostenlos Nabelschnurblut spenden und wenn mein Kind es braucht, kann es ihm vielleicht helfen. Oder ich kann dafür viel Geld bezahlen und wenn mein Kind Stammzellen braucht, kann ihm vielleicht damit geholfen werden.“ Man weiß einfach nicht, was sich in der Forschung in den nächsten Jahren tun wird. Liest man Zukunftsprognosen von vor 50 Jahren, gibt es welche, die zutreffen und andere, von denen wir noch immer meilenweit entfernt sind. Im Prinzip ist die Nabelschnurbluteinlagerung eine Versicherung gegen den Tod des eigenen Kindes. Nur ist bei einer Versicherung normalerweise klar definiert, was die Versicherungsleistungen sind. Da ist nicht von vielleicht oder vermutlich die Rede. Oder würde jemand gerne folgende Hausratsversicherung abschließen: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in den nächsten Jahrzehnten das Zeitreisen erfunden wird. Sie geben mir nun einmalig 290 Euro und weiterhin 6 Euro jeden Monat und ich werde im Versicherungsfall, falls es möglich sein sollte, in einer Zeitmaschine in Ihre Wohnung reisen und alle wertvollen Gegenstände retten.
Ich ärgere mich, dass mein Arzt mir ein Werbegespräch als Informationsgespräch verkauft. Hätte er mich informieren wollen, hätte er nicht auf eine Nabelschnurbank hingewiesen, sondern auf alle am Markt tätigen. Und er hätte vor allem auch auf die Möglichkeit der kostenlosen Spende eingehen sollen. Aber er weiß ja nicht, dass ich weiß, dass er pro verkaufter Einlagerung eine nette Provision kassiert. Allen meinen Freundinnen soll ich erzählen von den tollen Möglichkeiten der Einlagerung. So, dann mach ich das mal:
Liebe werdenden Eltern,
es gibt die Möglichkeit Nabelschnurblut zu spenden. Das ist kostenlos und völlig ungefährlich und schmerzfrei für Mutter und Kind. Leider ist die Entnahme nicht an allen Kliniken möglich. Ihr könnt Euch bei den zuständigen Stellen, z.B. dem DRK oder der DKMS erkundigen, ob Euer Entbindungskrankenhaus Entnahmestelle ist. Je mehr Nabelschnurblut gespendet wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Euren Kindern damit geholfen werden kann.
8 Kommentare
Kommentar von isnochys am 13. Oktober 2011 um 12:34
Ärzte sollten in Sachen Statistik niemals eine Naturwissenschaftlerin herausfordern!
🙂
FTW!
Kommentar von Frank am 14. Oktober 2011 um 10:05
Ich kann mir die Situation beim Arzt bildlich vorstellen. Geht mir immer so, wenn mich Versicherungsleute fragen, ob ich schon mal über eine Berufsunfähigkeitsversicherung nachgedacht habe. Die würde mich alle drei Jahre 2000 Euro kosten, also übers ganze Berufsleben mehr 20.000 Euro, und es ist höchst ungewiss, dass ich sie brauche, ob ich dann was kriege oder ob irgendwas Kleingedrucktes alles zunichte macht.
Nun gibt es bei Wahrscheinlichkeiten jedoch ein Dilemma. Um Bei Nabelschnurblut zu bleiben: Wenn mein Kind betroffen ist, trifft es mich zu 100% – egal ob die Grundwahrscheinlichkeit über alle Eltern bei 1:1.000 oder 1:100.000 liegt. Wenn ich in deisem Fall eine zusätzliche oder sonst nicht vorhandene Option hätte … das klingt zumindest nachdenkenswert. Doch wenn ich schon so langfristig denke, würde mich ein Sonderangeobt wie dieses stutzig machen. Das soll 2000 Euro kosten und da will einer es für 290 Euor machen?
Kommentar von AnJu am 14. Oktober 2011 um 16:11
@isnochys: vor allem sollten Ärzte nicht probieren Naturwissenschaftlerinnen mit emotionalen Argumenten wie „Na, es wäre eben besser“ statt mit Fakten zu überzeugen.
@Frank: Bei einer Versicherung hat man wenigstens irgendwo Kleingedrucktes, wo drin steht, was man im Zweifelsfall kriegt und was nicht. Da steht nichts von, „vielleicht“ und „möglicherweise“. Natürlich ist Statistik ein Arschloch und juckt einen wenig, wenn man genau der eine unter einer Million ist, den es trifft. Wäre das Nabelschnurblut jetzt eine 100%ige Versicherung, dass in so einem Fall das Leben gerettet werden kann, dann müsste man nicht drüber diskutieren. Fakt ist aber, dass man im Moment eben noch keine Organe züchten kann und ob und wann man das mal kann reine Spekulationen sind. Das Sonderangebot ist ja nur ein vermeintliches Sonderangebot, da es zusätzlich eine monatliche Gebühr kostet. Über einen Einlagerungszeitraum von 30 Jahren, kommt man dann auch schon fast an 2000 Euro ran. Und es ändert nichts daran, dass die private Einlagerung von Nabelschnurblut weniger nutzt als eine öffentliche Stammzellenbank. Den auch nicht jede Krankheit kann mit den eigenen Stammzellen geheilt werden, manchmal müssen es fremde sein.
Kommentar von Frank am 17. Oktober 2011 um 18:39
@AnJu: Es stimmt. Ich muss meinen Bauch entscheiden lassen, die verfügbaren Fakten werden vielen vermutlich nicht ausreichen.
Aber so ganz dünn sind die Fakten auch nicht: Im Nabelschnurblut sind Stammzellen drinn. Das Blut gibts nur zur Geburt. Und die Stammzellen scheinen besser als alte Knochenamrk Stammzellen zu sein. Das ist ja offenbar unstrittig.
Jetzt zum Nutzen: Bei Leukämie lese ich, dass Nabelschnurblut besser ist als Knochenmark. Weil jünger usw. usf. kann man Leukämie damit besser, schneller, einfacher oder so ähnlich behandeln. Und deswegen soll ich das Blut spenden. Im Analogieschluss könnte ich also vermuten, dass Nabelschnurblut meines SOhnes auch besser, schneller, einfacher oder so ähnlich ist als sein eigenes Knochenmark. Das sind sicher einige anderer Meinung als ich, aber mir scheint das plausibel.
Stimmt, dann weiß ich noch nicht, was die Zukunft so bringt. Organe züchten? Glaube ich nicht, dass das geht, jedenfalls so bald. Herzinfarkt heilen? vielleicht. Diabetes heilen? möglicherweise. Hirnschlag heilen? Unter umständen.
Aber was immer die forscher rausfinden, vielleicht ist es dann gar nicht so dumm, das Nabelschurblut sicher zu haben? Mir gibt diese Möglichkeit ein gutes gefühl und ich hab das Nabelschnurblut für meine zwei Kinder eingelagert. Von meinen Freunden und Verwandten ist es so 40:60. Knapp die hälfte denkt ernsthaft drüber nach, die anderen halten’s für nicht sinnvoll. Aber das ist beim thema iphone ja auch nicht anders 🙂
Kommentar von AnJu am 18. Oktober 2011 um 08:57
@Frank: Auch zur Behandlung von Leukämie sind Stammzellen aus Nabelschnurblut besser als die aus Knochenmark. Allerdings wird Leukämie nicht mit eigenen Stammzellen behandelt, da man davon ausgeht, dass die Stammzellen die Krebsinformation bereits tragen. Hier wäre also eine öffentliche Stammzellenbank sinnvoller.
Stammzellen privat einlagern ist bestimmt nicht verkehrt und wenn es Euch ein gutes Gefühl gibt, es getan zu haben, hat es ja schon einen Zweck erfüllt. Vielleicht wird es Euren Kindern in Zukunft nutzen und ihr seid froh drum. Ich ärgere mich nur darüber, dass die Ärzte einen nicht wirklich beraten, sondern nur auf die Provision schielen. Mag sein, dass Euer Arzt Euch besser beraten hat.
Kommentar von Frank am 18. Oktober 2011 um 15:50
@Anju: Meine Frau und ich haben den Frauenarzt gar nicht gefragt 🙂
Kommentar von stilhäschen am 20. Oktober 2011 um 13:34
Danke fürs Erinnern. Wichtiges Thema. Blödes Verhalten des Arztes.
Leider gibt es in unserer Nähe (Nürnberg) keine einzige Klinik, die für die o.g. Organisationen Nabelschnurblut entnimmt – immer noch nicht. Bereits beim ersten Kind vor zwei Jahren habe ich mich gefragt, ob das sein muss…
Jetzt immerhin ergibt eine schnelle Recherche, daß eine Spende für eine öffentliche Bank des Erlanger Uniklinikums (20km entfernt) möglich ist – allerdings über die Nabelbluteinlagerungsfirma eti***. Da ich ja gerne überall Geschäftemacherei wittere, wüsste ich jetzt gerne, was diese Firma denn davon hat, wenn wir spenden… weia, und schon wieder was gefunden, was sich stundenlang googeln lässt…:-) Äh, sorry fürs lautdenken.
Kommentar von AnJu am 21. Oktober 2011 um 09:23
Ja, das mit Erlangen und der privaten Blutbank hatte ich auch gelesen, mich aber nicht weiter informiert, weil auch Erlangen zu weit für uns ist. Sehr schade, dass man (noch?) nicht überall spenden kann. Vielleicht ändert sich das ja in den nächsten Jahren und bei Kind 3 geht’s dann.