Es gibt so Tage, da glaube ich, irgendjemand lässt einen Haufen Idioten los, um mich zu nerven. So ein Tag war am Freitag. Nachdem es mit früher nach Hause gehen mal wieder nicht geklappt hat, saß ich in meinem üblichen Zug, der, wie immer, ordentlich voll war. Immerhin gab’s noch einen Sitzplatz für mich. Aber leider nicht am Fenster, sondern nur am Gang. Fensterplätze mag ich lieber, weil man dann nicht aufstehen muss, wenn der neben einem aufstehen möchte. Am Freitag war’s dann eben nur ein Gangplatz. Der Typ neben mir hat sich mit seiner Zeitung schön breit gemacht, so dass ich nur zwei Drittel meines Sitzplatzes für mich alleine hatte. Ich hab trotzdem versucht zu schlafen, wobei ich aber immer ein Ohr beim Nebensitzer hatte, dass ich, falls er aussteigen muss, nicht tief und fest schlafe. Nach 15 Minuten hält der Zug dann das erste Mal. Kurz davor klappt der Typ seine Zeitung zusammen. Ok, der muss aussteigen, denke ich und mache mich wach. Aber der will gar nicht aussteigen. Ein paar Minuten später kommt schon der nächste Bahnhof. Kurz davor wird der Typ neben mir unruhig und nimmt seinen Rucksack auf die Knie. Ich denke wieder, er muss aussteigen und er bleibt wieder sitzen. Ich bin langsam genervt, weil er mich mit seinem hektischen Rumgefuhrwerke vom Schlafen abhält. An der nächsten Station, da steigt er dann endlich aus und ich freue mich auf zwanzig Minuten ungestörten Schlaf. Aber nix war’s mit Schlafen. Auf den inzwischen freigewordenen Zweiersitz neben mir setzt sich eine junge Dame mit Umzugskartons und Kopfhörern in den Ohren. Die haben wohl verhindert, dass sie selbst gehört hat, was sie für grauenvolle Geräusche durch das Hochziehen ihrer Nase erzeugt hat. Die war wohl irgendwo übel verschleimt und hat alle paar Minuten versucht ihre Nase freizubekommen. Zwischendurch hat sie dann versucht, den Schleim, der im Rachen angekommen ist, rauszuhusten. Das war so ekelhaft, dass es mir auch den restlichen Schlaf geraubt hat.

Und als wäre das noch nicht genug gewesen, war abends auch noch Chorprobe. Ich war ein bisschen spät dran und fürchtete schon beim Einsingen, dass der einzige freie Platz neben der jungen Dame sein würde, die sich am streberhaftesten einsang. Die wippte mit, schaukelte, strengte sich an und unterstützte sich selbst mit Gesten. Und da musste ich dann tatsächlich sitzen. Erst weigerte sie sich direkt zur anderen Stimme rüberzurutschen, weil sie ja neu sei, um dann hinterher die ganze Zeit raushängen zu lassen, wie toll sie doch singen kann. Toll, wenn man mit Vibrato singen kann, aber im Chor hat das eigentlich nichts verloren. Da trällerte sie also neben mir und ging mir auch damit auf die Nerven, dass sie, wenn wir gerade nicht singen mussten, ihre Stimme noch mal für sich gesungen hat. An einer Stelle wurde das Stück ziemlich hoch. Da stand sie auf zum Singen, weil sie dann besser hoch kommt. Mag ja schon sein, aber solange wir noch Töne üben ist es egal, ob’s grandios oder grauenhaft klingt. Ihr Aufstehen führte dann dazu, dass wir alle aufstehen mussten. Nach ner anstrengenden Arbeitswoche kann ich mich für Singen im Stehen meistens nicht besonders begeistern. Während wir da noch standen, fing sie an sich zu räkeln und vor sich hin zu stöhnen. Weder ich noch die Sitznachbarin auf der anderen Seite fragte nach dem Grund. Den hat sie mir dann sowieso ungefragt mitgeteilt. Sie sei so verspannt und ob ich ihr mal den Rücken abklopfen könnte. Geht’s noch? Ich steh schon mal grundsätzlich nicht auf massieren und diese „Jetzt geht mal zu jemandem, mit dem ihr noch nie geredet habt und dann massiert den“-Spiele im Chor, finde ich einfach nur grauenvoll. Seit Jahren drücke ich mich davor fremde Menschen massieren zu müssen. Ok, das wusste die bestimmt nicht, aber strange fand ich’s trotzdem. Später in der Probe wollte sie dann noch ihren Schal und jammerte über den Schleim in ihrer Lunge. Natürlich schaffte sie’s nicht, mich nach dem Schal zu fragen, ohne mich anzufassen. Da ist mir klar geworden, dass ich kein Anfassmensch bin. Ich mag’s nicht, wenn Fremde mich grundlos anfassen, und wenn’s nur am Arm ist. Nachdem sie dann glücklich war mit ihrem Schal, hat die nächste Show angefangen. Sie stöhnte, stützte den Kopf in die Hände, lehnte sich im Stuhl zurück und seufzte, sie sei ja so müde. Dazu konnte ich gar nichts sagen. Bestimmt war sie nicht die ganze Woche um 6 Uhr aufgestanden (wie ich) und immerhin war sie schuld, dass wir vorher alle stehen mussten. Dabei ist an solchen Tagen meine Devise „Kräfte sparen wann immer Du kannst“ (das ist übrigens aus Todesmarsch). Dann teilte sie uns noch mit, das hätte heute keinen Wert mehr mit ihr, sie würde sich nur die Stimme kaputt machen. Die Frage, wie sie meint ein Konzert singen zu können, wenn ihr schon die Probe die Stimme zerstört, habe ich mir dann verkniffen.