Der Kunde als Knecht?
von alasKAgirlDez 16
Gestern abend kurz vorm Schlafengehen zappte ich zufällig in eine Sendung beim SWR. „Der Kunde als Knecht“ war das Thema. Angesprochen werden sollte, dass wir heutzutage viele Dinge selbst machen, die früher noch Dienstleistungen waren. Im Selbstversuch probierte die SWR-Autorin alle möglichen Selbstbedinungsangebote unterschiedlicher Anbieter aus. Dabei wurde immer wieder betont wie schwierig das alles sei. Ich schaltete zu, als es gerade um Bahnfahrkarten ging. Da wurde zwei Bahnfahrkarten jeweils am Schalter, am Automat, im Internet und im Reisebüro gebucht. Das Fazit war, dass es ja gar nicht billiger sei, wenn man es selbst im Internet oder am Automat macht. Es sei also ein Outsourcing von Arbeit an den Kunden, der dafür nichts bekommt. Tatsächlich fand sich das Reisebüro bei den zwei gewählten Verbindungen sogar am besten im „Tarifdschungel“ der Bahn zurecht. Was allerdings verschwiegen wurde, war, dass die ausgewählten Verbindungen und Reisendenkonstellationen so komplex waren, dass der günstigste Preis nicht auf der Hand lag. Und den Fall, dass eine Hin- un Rückfahrt billiger ist, als eine einfache Fahrt, den muss man sich auch schon genau vorher aussuchen. Als Kunde bekomme ich aber doch etwas dafür, dass ich die Arbeit selbst mache. Ich spare Zeit. Statt eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges am Bahnschalter zu stehen, kann ich fünf Minuten vor Abfahrt noch schnell ein Ticket aus dem Automat ziehen. Klar, dass das für die ältere Generation oder für Leute, die nicht oft Bahn fahren verwirrend und kompliziert ist, aber genau für die gibt’s doch die Bahnschalter. Warum also beschweren?
Das nächste Beispiel waren die Packstationen. „Zufällig“ filmten sie eine junge Dame, die gerade ein Paket abholte und erzählte, dass es am Vortag eine Störung gegeben hatte uns sich das Fach nicht öffnete. Sie musste also ein zweites Mal hin. Die vielen anderen Leute die jeden Tag problemlos ihre Pakete abholen, die haben sie nicht gezeigt. Die SWR-Autorin wollte dann im Selbstversuch ein Paket über die Packstation verschicken und das Paket vorher online frankieren. Da gab es zu bemängeln, dass man sich vorher für Paypal anmelden muss. Zum Ausdrucken des Scheins fehlte ihr dann die aktuelle Java-Version. „Huch, jetzt will der was installieren!“. Da hat sie einen Schreck bekommen. Nach ner halben Ewigkeit hatte sie dann Java installiert. Das Ausdrucken hat auch noch eine Weile gedauert („Acrobat will eine Verbindung zur Seite herstellen. Soll ich da „Annehmen“ oder „Blockieren“ klicken?“). Und dann musste sie das Paket ja auch noch zur Packstation bringen, was wider Erwarten problemlos funktionierte. Insgesamt hat sie also über eine Stunde um das Paket abzuschicken. Aber mal ehrlich, ist das die Schuld von der Packstation? Schließlich hätte sie das Porto auch an der Packstation mit EC-Karte bezahlen können. Niemand hat sie gezwungen das online zu machen. Außerdem hätte sie sich ja mit ihrem Paket auch eine dreiviertelstunde in die Schlange bei der Post stellen können. Wenn das der Service ist, den sie sich wünscht. Zufälligerweise weiß ich auch, dass die Packstationen keine Sparmaßnahme der Post sind. Die lohnen sich nämlich nicht. Aber für viele berufstätige Menschen ist es eine Erlösung die Pakete nicht Samstags (wer hat schon unter der Woche zu Postöffnungszeiten frei) mit 300 anderen in der Postfiliale abholen zu müssen.
Dann fuhr die Autorin einen Professor besuchen, der ein Buch über das Thema geschrieben hat. Der fing an davon zu erzählen, wieviel Kohle IKEA dadurch spart, dass alle ihre Billy-Regale selbst aufbauen. Ein Unding sei das. Allerdings würde IKEA die Aufbaukosten ja auf den Regalpreis draufschlagen, wenn sie das für alle Kunden aufbauen müssten. Ich glaube, dass viele es vorziehen eine halbe Stunde selbst zu investieren und dadurch Geld zu sparen. Wer das nicht will, der kann ja in einem anderen Möbelhaus einkaufen.
Der Professor hat im Selbstversuch einige Onlinekonten und bestellt auch öfters mal im Internet. Darüber hatte er nur zu schimpfen. Die Onlineshops seien so kompliziert, dass man sich eh nur bei einem anmeldet. Die Tortur würde man nicht ein zweites Mal durchmachen. Hä? Also ich finde online einkaufen nicht besonders kompliziert. Darüberhinaus bietet es den Vorteil, dass man quasi alles kaufen kann. Da kann man schon einige Zeit in der Stadt verbringen, um so ein Angebot zu finden. Er versuchte dann live vor der Kamera eines seiner Onlinekonten über die Telefonhotline zu kündigen. „Bitte nennen Sie Ihre Kontonummer oder geben sie über die Telefontastatur ein“. Nix besonderes also. Nur stellte der das Telefon auf Raumlautsprecher und nuschelte seine Nummer aus einiger Entfernung. Das hat der Automat nicht verstanden. Über die Tastatur eingeben wollte er sie nicht. Er hat dann lieber aufgelegt und gejammert. Das sei alles so kompliziert. Früher, da hat einen der Bankangestellte noch mit Namen gekannt und konnte die Kontonummer auswendig. Also erstens finde ich Telefonbanking nicht wirklich kompliziert und zweitens ziehe ich es vor mir mein Geld am Automat dann zu holen, wenn ich es brauche und nicht dann, wenn die Bank offen hat bei dem Angestellten der meinen Name kennt.
Es folgten dann noch ein Check-In Automat eines Hotels und die Elsterformulare für die Steuererklärung. Fazit der Sendung war: wir machen so viele „sehr komplizierte“ Dinge selbst und die Firmen sparen damit Personal und Kosten ein. Wir haben davon nichts. Alles quatsch, finde ich. Für mich ist es ein Zugewinn an Lebensqualität, wenn ich meine Freizeit nicht in Schlangen an Postschaltern, Bankschaltern oder bei Ämtern verbringen muss. Wenn die Generation der über 50jährigen das nicht so sieht, können die das ja gerne machen. Niemand zwingt sie sich mit der ungeliebten Technik rumzuschlagen, aber vielen anderen Menschen macht genau die das Leben unsagbar leichter.
17 Kommentare
Kommentar von isnochys am 16. Dezember 2008 um 12:21
Polemik pur im SWR..
Wenn jemand zu dumm ist, online seine Geschäfte zu erledigen, soll er doch vor Ort gehen, es hindert ihn ja keiner.
Dafür muss er eben auch mehr zahlen.
Na Und?
Ich versteh die Aufregung nicht.
Und wogegen war denn der Prof?
Manne aus der Geophysik macht alles online.
Oder war das ein Soziologe, der schon elektrisches Licht für Teufelswerk hält?
*seufz*
Kommentar von Viktor am 16. Dezember 2008 um 13:23
Also, ich kann nur eines zu sagen.
Ich habe die Schnauze voll, anderen bei ihren Problemen mit der neuen Technik zu helfen. Ich habe nicht mehr Freizeit, wenn mein Bruder und sonst ein Bekannter mich bittet, für ihn etwas in Internet einzukaufen, Infos zu suchen usw……….
Bequem sind all die Automaten und so weiter schon, aber die Alten haben da kein Nerv dazu. Man möchte doch verstanden und geholfen werden……….
Kommentar von das schwesterchen am 16. Dezember 2008 um 13:45
…also ich bin auch froh, dass ich beim Fahrkartenkauf nicht mit Bahnpersonal befassen muss und meine Weihnachtseinkäufe übers Internet abwickeln kann, und mich nicht Nachmittags nach 5 durch die völlig überfüllte Stadt schieben lassen muss…
Kommentar von tumulder am 16. Dezember 2008 um 14:39
Wie jetzt? Der Billy ist tatsächlich so billig, weil man den selbst nach Hause schleppen und aufbauen muß? Um das herauszufinden muß der SWR einen Professor befragen? Noch nicht einmal Gallileo würde sich trauen so etwas zu versenden. Und die trauen sich wirklich viel.;)
Kommentar von AnJu am 16. Dezember 2008 um 14:44
@tumulder: der Professor hat nur rausgefunden, dass IKEA so reich ist, weil wir alle Billy selbst aufbauen. Dass Billy deshalb so billig ist, hat er nicht kapiert.
Kommentar von tumulder am 16. Dezember 2008 um 15:56
Ach schau an, ich hätte jetzt gedacht IKEA ist so reich, weil der Billy so billig ist. So kann man sich täuschen. Da liegt ja fast die Vermutung nahe, die Post ist so reich, weil die Menschen Briefe und Pakete verschicken müssen. Da sollte der SWR noch mal nachhaken.:D
Kommentar von isnochys am 16. Dezember 2008 um 21:17
Und der SWR ist so reich, weil alle GEZ zahlen müssen!
:))
Die hätten mal in ihrer eigenen Schulade kramen sollen
Kommentar von Georg am 17. Dezember 2008 um 08:48
Also ich stimme Dir in fast allem zu, und ich bin auch ein passionierter Automatenbenutzer, aber in einem Punkt gebe ich dem SWR doch recht: Fahrkartenautomaten der Bahn sind die Hölle. Wer auch immer die Dinger programmiert hat gehört gefoltert. Meine Empfehlung für den Selbstversuch: Fahrkarte von Köln nach Düsseldorf für den nächsten Zug kaufen. Ein einfacher Prozess, denkt man sich. Da kommen jedoch selbst das von der Bahn angestellte Automatenpersonal ins Schwitzen.
Kommentar von AnJu am 17. Dezember 2008 um 09:31
@Georg: wahrscheinlich soll man einfach nicht von Köln nach Düsseldorf fahren 😉
Kommentar von Georg am 17. Dezember 2008 um 10:05
Ich gebe ja zu, dass die Kölner ungern in ihren nördlichen Vorort fahren – aber leider macht der Fahrkartenautomat die gleichen Zicken wenn man aus der verbotenen Stadt wieder zürck in die Zivilisation will 😉
Ich werde mal in nächster Zeit ein kleinen Beitrag mit Screenshots dieser idiotischen Programmierung verfassen.
Kommentar von isnochys am 17. Dezember 2008 um 11:22
hmm, wenn ich in Stuttgart eine Fahrkarte von Kirchheim/Neckar nach Lauda löse, brauch ich an den neuen Automaten 20-30 Sekunden..;)
Kommentar von tumulder am 17. Dezember 2008 um 11:41
@georg
Andere Verzweifelte ansprechen und mit dem Großraumtaxi fahren. Schneller, bequemer und kaum teurer als mit der Bahn. Weiberfastnachtserfahrungen.;)
Kommentar von Georg am 17. Dezember 2008 um 14:38
@isnochys für die meisten Fahrten brauche ich am Automaten auch nicht lange, aber von K nach D gibt es leider unglaublich viele Besonderheiten und Möglichkeiten. Ich sag ja, ich geh mal mit der Kamera an den Bahnhof und mache ein paar Screens.
@tumulder ich muss glücklichweise nicht oft auf die falsche Rheinseite. Finde aber die Bahn trotz allem noch am bequemsten, mich ärgert einfach nur diese verf*ckte Benutzerführung am Automaten.
Kommentar von Georg am 17. Dezember 2008 um 14:59
schon wieder ich.
Bei Wikipedia gibt es zu dem Problem K nach D einen Eintrag:
In NRW wurden die DB-Fernverkehrsautomaten umgerüstet, so dass damit auch alle Fahrkarten des NRW-Tarifs und des jeweiligen regionalen Verbundtarifs erhältlich sind. Der Fahrgast muss sich vor der Verbindungseingabe für den gewünschten Tarifbereich entscheiden, da die Software nicht über die entsprechenden Daten zur richtigen Einordnung von gewählten Verbindungen verfügt. Weil insbesondere wenig Reisende und Fahrgäste aus benachbarten Bundesländern über die Tarifangebote in NRW kaum informiert sind, entsteht damit eine zusätzliche Hürde.
Dazu kommt, dass man sich vorher entscheiden muss auf welcher Rheinseite man fährt, oder ob man gar den ICE benutzt (im letzteren Fall zählt der NRW-Tarif nicht, d.h. ich muss nachdem ich am Ende feststelle dass der nächste Zug ein ICE ist wieder komplett von vorne anfangen). Hat man dann endlich eine Fahrkarte, fällt just der Zug aus, und für den nächsten braucht man leider eine andere Fahrkarte.
So, jetzt habe ich hier aber genug gespammt.
Kommentar von AnJu am 17. Dezember 2008 um 17:04
@Georg: mach das mal mit den Screenshots. Hört sich nämlich sehr skuril an. Wenn ich mal wieder in Köln bin muss ich das unbedingt ausprobieren.
Kommentar von Name am 25. Februar 2009 um 21:21
(sendung wurde heute wiederholt) ich stimme dem Bericht insgesamt zu. Auch wenn der Prof oft blödsinn redete. Und auch ich brauche keinen Verkäufer beim hosenkaufen. aber so ein Physiotherapie-computer finde ich, geht zu weit. das schlimme ist doch, dass irgendwann die Krankenkassen einem dann dann Programm dafür geben. Wer service wünscht, muss zahlen. Solange die Technik nicht 100 prozentig funktioniert, macht mir z.B. eine Schaffnerlose Ubahn, eine elektrische Tür auf Toiletten (gibts in München), elektrische Türöffner usw. Angst. Aber es gibt jedenfalls gegentrends. Spätestens wenn wir selber alt sind werden wir uns mehr Menschen wünschen. Aber dann sind wir ja sicher alle noch bei SeniorenVZ oder Pensionisten.de, oder auch alt.de oder seniorenscout.
Kommentar von golem23 am 9. Februar 2010 um 14:20
Ein wenig Ignoranz ist hier aber schon dabei: Es gibt halt nicht nur die Großstadt und Umfeld, sondern auch viele Orte in der Provinz, wo es halt keinen Bahnschalter mehr gibt. Was machen die „Alten“ denn da? Sich dann vom Personal vollgrummeln zu lassen, dass sie ja im Zug eigentlich keine Karte verkaufen dürfen…
Und was soll die Diskussion: Das Zugfahren ist deutlich teurer geworden, aber der Service hat abgenommen – und eine menschliche Beratung und Bedienung ist nunmal Service. Auch die These, dass ein Automat schneller ist als ein Schalter, halte ich für ein Gerücht.
Das ganze setzt sich aber noch endlos fort: Tankstelle – Tanken ist zum Luxus geworden, der Service verschwunden. Und wenn am Banschalter was schiefläuft – wer hat das Risiko? Natürlich der Kunde, als Dank dafür das er sich auch noch selbst bedient.
Nene, das ist schon genau so wie das in der Sendung dargestellt wurde. Wer will schon von einem dummen Blechkopp bedient werden – doch nur die Leute die eh ein soziales Defizit haben… 😉