Manchmal gibt es solche Tage, an denen die persönliche Toleranzgrenze irgendwo auf Höhe der Schuhsohlen liegt. Da geht einem einfach alles auf den Geist. So ein Tag war Mittwoch. Müde aufgestanden (obwohl am Abend vorher ungewöhnlich früh auf dem Sofa eingeschlafen) und auf die ersten Idioten treffe ich gleich morgens im Zug. Statt sich hinzusetzen oder wenigstens einen Schritt zum Sitz rein zu machen, bleibt der Kerl, der vor mir eingestiegen ist, halb im Gang stehen um sich mit ausladenden Bewegungen seinen Mantel auszuziehen und trifft dabei mit seiner Hand natürlich mein Gesicht. Ein erstauntes „Oh, entschuldigung“ und ein gebrummeltes „nix passiert“, dem in Gedanken ein „Depp, Du bist nicht allein auf der Welt!“ hinzugefügt wird, und ich darf endlich vorbei und mich hinsetzen. Da Pendlerzüge immer voll sind, kriege ich auch schon bald einen Nebensitzer, der mich beim Hinsetzen, Zurechtruckeln im Sitz, Jackeausziehn, im Rucksack kramen permanent leicht anrempelt. Ich ärgere mich, weil mich das Gerempel vom Schlafen abhält und frage mich, warum manche Menschen nicht in der Lage sind, mit dem Platz, den ein Sitz im IC bietet, auszukommen. Ich kann da doch auch sitzen ohne ständig meinen Nebensitzer anzurempeln. Beim Aussteigen wirft er noch aus Versehen seinen Pulli von der Gepäckablage auf mich runter. Irgendwann ist die Fahrt dann auch überstanden und ich darf mich im Büro weiterärgern. Wir haben da nämlich einen neuen Kollegen, der immer wieder von seiner alten Firma erzählt. Die muss so toll gewesen sein, dass ich mich echt frage, warum er jetzt eigentlich bei uns ist. Egal welches Thema man anschneidet, nach spätestens fünf Minuten hält er einen Monolog über die Software, die er in seiner alten Firma benutzt hat, über die Qualität und den Preis des Mittagessens in seiner alten Kantine oder über die Farbe der Eingangstüren. Inzwischen ist es bei mir soweit, dass ich auf die gute alte Technik zurückgreife, die Männer anwenden, wenn ihre Frauen nicht mehr aufhören wollen zu reden. Sobald ein Satz mit „Bei uns“ anfängt, höre ich nur noch angenehmes Rauschen und versuche an den passenden Stellen „echt?“ oder „krass!“ einzuwerfen. Ist es nicht seltsam, dass es Menschen gibt, die einem den Quellekatalog vorlesen könnten und man würde gebannt lauschen oder sich vor Lachen auf dem Boden rollen, und andere Menschen, einem selbst dann, wenn sie lustige Anekdoten erzählen, gerade mal ein müdes Lächeln auf die Lippen locken können? Jedenfalls genau dieser neue Mitarbeiter kommt nach einem langen Arbeitstag in mein Büro um tschüß zu sagen. Ich wollte eigentlich nur noch schnell ne Bestellung fertig machen und dann auch gehen. Aber da fängt er auch schon an zu reden und hält mir einen zehnminütigen Vortrag über die EDV-Abteilung in seiner alten Firma. Ich sitz nur da und denke ich spinne. Meine Nettigkeiten für den Tag sind schon aufgebraucht und so schaffe ich nur noch gebrummelte „mhs“ einzuwerfen. Er merkt aber nicht, dass es mich nicht interessiert und redet weiter. Das Ende vom Lied ist, dass ich jetzt weiß, dass die EDV nur eine Treppe runterlaufen musste und trotzdem alles immer ewig gedauert hat, meine Bestellung aber immernoch hier liegt. Zum krönenden Abschluss ist die Zugfahrt dann ein einziges Deja-vu: beim einsteigen haut mir einer beim Mantelausziehen seine Hand ins Gesicht, mein Nebensitzer rempelt mich mehrmals an und wirft kurz vorm Aussteigen seinen Geldbeutel aus der Gepäckablage auf mich. Noch dazu kommt, dass ein Handy eines Reisenden (Pendler wissen, dass man auf der Strecke sowieso nicht telefonieren kann) ständig klingelt. „Didüdidüdü“. Er geht ran und wir fahren in einen Tunnel. Wir fahren aus dem Tunnel raus und sein Handy düdelt erneut. Er geht ran und wir fahren in einen Tunnel. Wir fahren aus dem Tunnel raus und schon wieder düdelts. Das Handy ist ein Uralt-Nokia ohne polyphone Klingeltöne, also ein richtig penetrantes Gepiepse. Das hat er auch noch auf saulaut gestellt. Ich sitze da und frage mich, warum er nicht mal auf die Idee kommt, die restlichen Passagiere im Wagen könnten sich gestört fühlen. Also mir wär’s nach dem ersten Klingeln schon peinlich gewesen und ich hätte den Ton ausgestellt. Und so komme ich dann total genervt nach Hause, dass mich D. gleich ins Schwimmbad schickt, weil mich Schwimmen entspannt. Erstaunlicherweise funktionierts, obwohl die imwegrumschwimmende Altherrenriege wieder da ist. Und so geht auch solch ein Tag zu Ende.