Irgendwann Anfang des Jahres habe ich einen Artikel im Zeit-Magazin gelesen, wo die übermäßige Bewertung mündlicher Leistungen in der Schule kritisiert wird. Ich kann mich erinnern, dass mich selbst das in der Schule auch schon gestört hat. Da gab es die Noten aus den Klausuren und dann hat der Lehrer anhand subjektiver Empfindungen eine Note für die mündliche Leistung gegeben, die dann genau gleich stark in die Gesamtnote einfloss, wie die Klausurnoten. Meine mündlichen Leistungen in der Schule waren eher schlecht. Das lag nicht daran, dass ich keine Antwort hätte geben können, ich wollte schlicht nicht. Wenn der Lehrer eine Frage zu bereits behandeltem Stoff stellte, fand ich es einfach unnötig mich zu melden. Warum soll man der Klasse etwas mitteilen, was die Klasse ohnehin schon weiß. Und wenn der Lehrer eine Frage zu neuem Stoff gestellt hat, kannte man die Antwort meistens nicht. Ein Mitschüler hat dann immer wie wild angefangen im Buch zu blättern, bis er die Antwort gefunden hatte. Der Lehrer war begeistert über den schlauen Schüler und alle anderen entsetzt über den dummen Lehrer, der so einen einfachen Trick nicht durchschaute. Aber es gibt ja auch noch die Fächer, bei denen die Mitarbeit sehr wichtig ist, wo disskutiert werden soll. Ethik war so ein Fach. Im ersten Jahr waren wir im Ethikkurs 30 Schüler. 30 Schüler und eine Lehrerin, die angeregt diskutieren sollen. Wir waren sogar angehalten, aktuelle Themen mit in den Unterricht zu bringen. Die Diskussionen liefen meistens so ab. Eine Schülerin meldete sich und machte eine Aussage, die stets mit „Ich würde sagen, dass …“ begann. (Später mal hat ein Deutschlehrer versucht das auszutreiben. „Entweder du sagst es oder du sagst es nicht. Ein „würde sagen“ gibt es nicht!“) Dann meldete sich die nächste und bestätigte die Aussage der ersten „Also, ich würd‘ auch sagen…“. Und dann die nächste und die nächste. Und die nächste. Fünf Wortmeldungen mit ein und derselben Aussage. Vielleicht hatte man Glück und die nächste Wortmeldung brachte einen neuen Gesichtspunkt, meistens aber eher nicht. Ich fand diese Diskussionen unglaublich langweilig und ermüdend. Und deshalb hatte ich auch selten Lust mich daran zu beteiligen. Dazu kam, dass mit Vorliebe über Themen disskutiert wurde, von denen niemand wirklich Ahnung hat. Einmal war es die Gentechnik. Nachdem unsere Lehrerin schon eine haarsträubende Behauptung als Tatsache hingestellt hatte, meldete sich eine Mitschülerin und meinte: „Ich find das schon gut, weil dann kann man ja Krankheiten schon im Mutterleib heilen.“ Beifälliges Gemurmel und zustimmendes Nicken. Und ich schau die Frau aus Lö an und möchte SOS funken. Zum Glück waren einige Lehrer bei der Notengebung alles andere als objektiv. Kaum einer gibt einen die verdienten 5 Punkte mündlich, wenn man schriftlich auf 15 steht. Beim Geschichtslehrer bekamen blonde Mädchen zwei Punkte geschenkt, bei der Ethiklehrerin Jungs zwei Punkte abgezogen. Warum ist die mündliche Leistung überhaupt wichtig für die Note? Sie lässt sich nicht objektiv bewerten und sie ist kein Indikator dafür, wie gut man sich präsentieren kann oder wie kommunikativ man ist. Dass man zu Themen schweigt, von denen man keine Ahnung hat, ist für alle Beteiligten viel angenehmer. Obwohl ich mich aus den lästigen Ethikdisskussionen rausgehalten habe, bin ich nun doch in der Lage ganz annehmbare Vorträge zu halten und 90 Minuten vor Studenten zu reden. Und dennoch entscheidet manchmal die mündliche Note über Erfolg oder Scheitern eines Schülers. Ist das richtig?