Neulich abends war ich beim Haareschneiden. Wir gehen immer privat zu einer Freundin von Stulle, die uns für ein Trinkgeld die Haare schneidet. Klar, der 11-Euro-Frisör ist auch günstig, aber die Athmosphäre und die Beratung ist dort unvergleichlich viel schlechter. Dieses Mal waren wir zu dritt, Stulle (30 Jahre), ich (27 Jahre) und eine Kommilitonin von Stulle (anfang 20). An der ersten wurde gerade geschnitten, als ich kam, und die zweite war gerade dabei sich die Farbe aus den Haaren zu waschen. Während eine bedient wird, haben alle genug Zeit zum tratschen. Dabei kam Charlotte Roches Buch zur Sprache. Stulle und ich hatten leider die Lesung in KA verpasst und nur erwähnt, dass wir das Buch noch immer nicht gelesen hatten. Stulles Kommilitonin wetterte gleich los, das wäre total ekelhaft, das Buch, und die Charlotte total gestört. Klar ist das Buch teilweise ekelhaft, aber gestört ist die Charlotte nicht. Recht hat sie nämlich mit einigem und klar muss sie das alles ein bisschen überzogen darstellen. Damit erreicht sie nämlich, dass die Leute, so wie wir ja auch, drüber reden. Und schon waren wir beim Thema rasieren. Ich kann mich erinnern, als ich so 13 oder 14 war und die nachmittags-Talkshows gerade im kommen waren, habe ich eines Tages Arabella gesehen. Was das Thema war, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war eine junge Dame in Lack und Leder anwesend, die dem erstaunten Publikum erzählte, dass sie sich die Schamhaare rasiert. Alle am Tresen stehenden, das Publikum und die liebe Arabella fanden das abartig oder zumindest kurios. Arabella hat gleich mehrere Male nachgefragt, wie sie das mache, ob sie sich nicht schneide und ob sie tatsächlich alle Haare abrasiere. Keine Ahnung, warum mir das so in Erinnerung geblieben ist. Die Szene heutzutage wäre wahrscheinlich genau umgekehrt. Eine angewiderte Arabella würde eine unrasierte junge Dame wohl mehrmals fragen, ob sie tatsächlich alles wild wuchern lässt.
Ebenso amüsant war die Reaktion von Stulles Kommilitonin, die ja komplett in einer haarlosen Welt erwachsen geworde ist, auf die Aussage hin, dass Charlotte Roche früher mit Achselhaaren moderiert hat. Das sei ja total unhygienisch, meinte sie. Wir haben ihr dann erklärt, dass das nicht so ist, aber sie hat’s nicht wirklich geglaubt. Wir anderen drei, also Stulle, die Haarschneiderin und ich, waren uns einig, dass Charlotte Roche Recht hat, aber es ist eine Sache ihr Recht zu geben und was ganz anderes als einzige Frau unrasiert unter der Dusche im Schwimmbad zu stehen. Da denkt man dann: „Danke Charlotte, dass Du für uns alle kämpfst. Bestimmt mach ich auch mal mit, aber nicht diese Woche oder diesen Sommer, vielleicht dann, wenn ich älter bin und über so was stehe.“ Oder: „Ach Charlotte, Recht hast Du schon, aber ich find’s halt ohne Haare einfach schöner!“ wohl wissend, dass man’s nur deshalb schöner findet, weil einem seit Jahren erzählt wird, dass es schöner sei.