Am Wochenende hatte ich Grundschulklassentreffen. Zwanzig Jahre ist das her, dass wir mit unseren Empfehlungen auf die weiterführenden Schulen geschickt wurden. Vor ein paar Monaten hat jemand bei Facebook ein Klassenfoto aus der dritten Klasse eingestellt und alle drauf verlinkt. Plötzlich war man dann mit Leuten „befreundet“, die man seit ewigen Zeiten nicht gesehen hat. Wahrscheinlich kam dann deshalb die Idee auf, alle mal wieder zu treffen. Bei Facebook wurde es angekündigt und sogar eine schriftliche Einladung landete in unserem Briefkasten. Ich habe ein bisschen hin und her überlegt, ob ich da wirklich hin will. Die Leute, die nicht mit mir aufs Gymnasium gegangen waren und die nicht bei uns in der Straße wohnten, hatte ich tatsächlich seit 1990 nicht gesehen. Und nachdem zumindest eine der ehemaligen Klassenkameraden exzessiv Facebook Phrases (das ist das mit den Glücksnüssen und so) nutzt oder italienische Schnulzensongs postet, wusste ich wirklich nicht, ob ich den Leuten überhaupt was zu sagen habe (außer ihnen die Nutzung von Facebook zu erklären). Aber weil ich sowieso mal wieder nach Hause wollte, habe ich mich zum Treffen angemeldet. Die Frau aus Lö hatte auch vor zu kommen und so wären wir ja immerhin zu zweit, falls die anderen sich alle als Schnarchnasen entpuppen. Und so habe ich am Samstag abend den Kleinen bei der Omi gelassen und bin ins Nachbarkaff gefahren. Ich wurde schon vor der Tür begrüßt. Sogar unser Grunschullehrerehepaar war da. Eigentlich dachte ich, es würde schwer werden die Leute zu erkennen. War es aber nicht. Bei meiner Nebensitzerin musste ich kurz überlegen, aber die war auch immer sehr still in der Schule. Mehr als ein Drittel, beinahe schon die Hälfte, der ehemaligen Klasse war da. Natürlich hauptsächlich die, die nach Haupt- oder Realschule eine Ausbildung gemacht haben und immernoch in der Gegend wohnen. Da saßen wir dann also und es ging los. „Was machst Du jetzt?“ in alle Richtungen. Meistens bewegt man sich ja doch zwischen Studierten, da war es interessant, andere Lebenswege kennen zu lernen. Und die waren zahlreich. Eine ist alleinerziehende Mutter, hat jetzt aber wieder einen Freund. Eine ist verheiratet mit Kind, hat seit der Ausbildung keine feste Arbeitsstelle gehabt und nach ihren eigenen Erzählungen einen Mann, über den man bei Frauentausch herrlich den Kopf schütteln könnte. Aber was soll man machen. Eine war unglaublich langweilig oder vielleicht auch nur einfach nicht smalltalkfähig. Besonders interessant waren aber die Geschichten derer, denen man nichts zugetraut hat oder die nicht den geraden Weg gegangen sind. Da war zum Beispiel einer, der nach Rauswurf aus der Realschule und Hauptschulabschluss jetzt doch noch ein BWL-Studium macht. Am überraschendsten war einer, der prinzipiell nie seine Hausaufgaben gemacht hat und den Großteil seiner Grundschulzeit vor der Tür verbracht hat. Das war einer von denen mit schlechten Bedingungen, schwierigen Verhältnissen und wenig Geld zuhause. Er hat zwar auf der Hauptschule genauso wenig Arbeitswille gezeigt wie auf der Grundschule, hinterher aber trotzdem eine Ausbildung gemacht und, wie es aussieht, hat er einen ganz guten Job. Vor allem aber macht er keinen dummen Eindruck. Die Frau aus Lö meinte zwar er wäre etwas prollig, aber nur ein bisschen.
Dass ich promoviert bin, habe ich meistens nur am Rande erwähnt. Ich hatte nämlich keine Lust auf so einen Schw.anzvergleich à la „Schaut her, was ich erreicht habe und seid neidisch!“ Darum ging’s ja eigentlich nicht bei dem Treffen. Ganz davon abgesehen finde ich nicht, dass man auf ein Studium oder eine Promotion neidisch sein muss. Ich habe auch versucht, Wörter wie „Priorisierung“, „olfaktorisch“ und „optional“ durch andere zu ersetzen. Manchmal glaube ich nämlich ich laber schon ziemlich intellektuell daher und ich wollte ja nicht so abgehoben wirken.
Die Gespräche mit unsern Lehrern waren auch schön. Die konnten sich tatsächlich an alle Namen noch erinnern. Ich vermute ja, die haben vorher zuhause geübt. Wir haben ein paar alte Geschichten ausgekramt und viel gelacht. Schließlich haben unsere Lehrer noch ein Geschenkchen überreicht bekommen. Die Initiatorin des Klassentreffens hat das ganz schüchtern überreicht. Man hat ihr schon angemerkt, dass sie nicht besonders viel Erfahrung mit Präsentationen oder damit mal kurz im Mittelpunkt zu stehen hat.
Gegen später haben wir die Location gewechselt. Es sind nicht mehr alle mitgekommen, aber da hatten wir dann auch Gelegenheit mit denen zu reden, die vorher immer am anderen Ende des Tisches saßen. Es war wirklich lustig und es wurde auch tatsächlich spät. Ich war erst um viertel vor vier im Bett (ja, und das in DS!). Eine fragte mich, was meine Geschwister so machen. Als ich erzählt habe, wo die alle leben, meinte sie, sie hätte ja ein langweiliges Leben. Da hab ich hinterher drüber nachgedacht. Eigentlich glaube ich nicht, dass ein Leben interessanter wird, weil man in einer anderen Stadt lebt und die Familie verstreut ist über Deutschland. Immerhin muss sie, wenn sie ihre Familie sehen will, nur aus der Haustür raus und in die nächste Haustür rein. Ich muss mindestens zwei Stunden Zug fahren. Es hat also auch Vorteile ein „uninteressantes“ Leben zu führen.
Das Treffen hat sich wirklich gelohnt. Dadurch, dass wir uns so lange nicht gesehen hatten, gab es nicht diese Grüppchenbildung, die man von Abitreffen kennt. Jeder hat mit jedem geredet und alle waren sehr offen. Wir konnten uns neu kennenlernen und trotz der langen Pause war immernoch eine Vertrautheit da. Natürlich haben auch einige gefehlt. Einige davon hätte ich gerne dabei gehabt. Vielleicht ja dann beim nächsten Treffen in 10 oder 20 Jahren.